Stuttgarter Friedenspreis: Laudatio von Heidrun Friese für Giusi Nicolini

Stuttgart, 6. Dezember 2015

Laudatio von Heidrun Friese für Giusi Nicolini

Lampedusa isola di accoglienza. Lampedusa isola di frontiera.

In Zivilisationen ohne Schiffe versiegen die Träume, so der Philosoph Michel Foucault.

Doch an Europas Grenzen erstickt man. An seinen Grenzen ertrinkt man, erfriert, verbrennt die Haut, an seinen Grenzen steht das Herz still. An seinen Grenzen werden Menschen zurückgewiesen, festgehalten, eingesperrt, gehen Träume unter.
Lampedusa, winzige Insel vor der Küste Nordafrikas, Europas Peripherie, und einst ein Ort, an dem die Regionen und Religionen des Mittelmeeres sich trafen und austauschten, ist zu einem dieser Grenzorte geworden, an dem Menschen aussortiert werden und der Zufall der Geburt und Staatsangehörigkeit bestimmen, wie Lebensentwürfe sich gestalten dürfen.
Lampedusa ist zu einem der Symbole für Europas verfehlte Asyl- und Einwanderungspolitiken geworden.
Lampedusa, das ist jetzt auch Ort globaler Berichterstattung, der Medienhype und der Ökonomie der Aufmerksamkeit und so steht Lampedusa in unserer Imagination sowohl für die Furcht vor schwarzen Massen, Invasionen, Unkontrollierbarkeit, vor dem Verlust vermeintlich nationaler Identität, als auch für Anteilnahme, Mitgefühl, Verletzlichkeit, Hilfe, spontane Solidarität. Der Ort versammelt sowohl die medialen Ikonen humanitären Engagements, wie die Schauspielerin Angelina Jolie, Botschafterin des Flüchtlingshilfswerks UNHCR als auch die umstrittene Politikerin der französischen Front National, Marine Le Pen; hier war Silvio Berlusconi ebenso wie Papst Franziskus.
Lampedusa mobilisiert die politische Öffentlichkeit und macht die europäischen Grenzen offenbar, Lampedusa ist aber auch ein Ort fragloser, unbedingter Gastfreundschaft. Die community hat eine lange Tradition der Aufnahme von Flüchtlingen und Gestrandeten. Auch können die Fischer auf eine dramatische Chronik der Rettung Schiffbrüchiger zurückblicken, das Ethos von Fischern fragt nicht nach Herkunft, Name und Nationalität der Verunglückten und nimmt die Unglücklichen ohne zu zögern gastfreundlich bei sich auf.
Das Gesetz der Gastfreundschaft und das Gesetz des Meeres sind älter als jegliche Konvention. „Siamo gente di mare“, wir sind Seeleute, so sagt man auf der Insel. „Wenn es etwas gibt, was Lampedusa beibringen kann, dann ist es das Einfachste der Welt: Ein Mensch in Schwierigkeiten ist ein Bruder ohne Farbe oder Religion. Und um zu helfen oder um Hilfe zu bitten, muss man nicht dieselbe Sprache sprechen. Wenn wir hier auf Lampedusa Hilfe leisten, fragen wir nicht ‚Woher kommst du?’ oder ‚Welchen Glauben hast du?’ Wir fragen: ‚Was ist dir passiert?’“
Im Jahr 2011, dem Jahr der tunesischen Revolution, hat die Insel – sie zählt knapp 6000 Einwohner -, über 100.000 Menschen aufgenommen. „Lampedusa hat keine Angst vor den Ankommenden. Für uns sind das keine Nummern, sondern Personen. Wir sehen sie, wenn sie ankommen, wir haben Kontakt mit ihnen, ihren Sorgen und ihren Hoffnungen,“ so Giusi Nicolini in einem Gespräch.
Im Frühjahr 2012 wurde Giusi Nicolini zur Bürgermeisterin gewählt. Sie ist immer schon eine streitbare Frau und ein kämpferischer, kritischer Geist gewesen. Aktiv in der linken Jugendorganisation FGCI (1970/1980er), als Vizebürgermeisterin und als Aktivistin der Umweltorganisation Lega Ambiente hat sie, auch gegen Interessen und zähe Widerstände am Ort (hier wie da betoniert man gerne die Zukunft zu), gegen Klientelismus, Korruption, den Verkauf von Gemeindeland gekämpft. Sie hat La riserva, ein Naturschutzgebiet, durchgesetzt – Tripadvisor hat letzthin, das ist ein politischer Triumph, die l’isola dei conigli zu einem der schönsten Strände des Mittelmeeres erkoren und damit auch die Grundlagen für das Auskommen der Einheimischen im Tourismussektor gelegt.
Doch Giusi Nicolini lässt sich nicht darauf ein, Tourismus (also erwünschte Mobilität) gegen unerwünschte Mobilität, humanitäre Hilfe gegen politische Veränderung auszuspielen.
Kaum im Amt, hat die „sindaco gentile che accoglie l’umanità“, die „menschliche“ Bürgermeisterin, die die Menschheit willkommen heißt, einen dringlichen Appell an die EU gerichtet:
Ich bin über die Gleichgültigkeit entrüstet, die alle angesteckt zu haben scheint. Ich bin entrüstet über das Schweigen Europas, das gerade den Friedensnobelpreis erhalten hat, und nichts sagt, obwohl hier die Zahl der Toten daran glauben lässt, es wäre Krieg. Ich bin mehr und mehr davon überzeugt, dass die europäische Einwanderungspolitik den Tod dieser Menschen billigend in Kauf nimmt, um die Migration einzudämmen. Vielleicht betrachtet sie sie sogar als Abschreckung. Aber wenn für diese Menschen die Reise auf den Kähnen der letzte Funken Hoffnung ist, dann meine ich, dass ihr Tod für Europa eine Schande ist.
Seither gehört sie zu den eindringlichen Stimmen, die unermüdlich das europäische Grenzregime anprangern und europäische Politiker zum Umdenken auffordern, die nach Schiffbruch und Untergang auf die Insel eilen und sich an den Särgen der Ertrunkenen versammeln:
“Dass das Dublin-Verfahren in den Papierkorb gehört, war auf Lampedusa schon lange klar erkennbar, da damit eine schmerzlose Verteilung der Flüchtlinge nicht durchzuführen ist. Als Anlaufstelle für Migranten haben wir seit Jahren die Stimmen derer gehört, die Furchtbares erlebt haben … Leider blieb unser Appell so lange unerhört, bis die europäischen Nordstaaten die Migranten vor der eigenen Tür hatten. Als würde das Problem exklusiv das abgelegene Lampedusa betreffen und unser Hilferuf ausschließlich der Beseitigung unseres Unbehagens dienen. Nun erkennt Europa, was es jahrelang verdrängte. Allerdings bleibt seine Antwort darauf enttäuschend.”
Gut drei Jahre nach ihrem Brief an die Europäische Union richtet sie in diesem Jahr erneut einen Appell an das europäische Gewissen und fordert entschieden ein neues europäisches Asyl- und Einwanderungsrecht.
“Wir unterscheiden weiterhin Flüchtlinge erster und zweiter Klasse. Es ist schlicht absurd, dass ein Mensch, der das eigene Haus verlassen muss, aufgenommen wird, wenn er vor einem Krieg flieht, und abgelehnt, wenn ihn ein Bürgerkrieg, Terrorismus oder Hunger zur Flucht zwingen. Zwischen Flüchtlingen und ökonomischen Migranten zu unterscheiden, ist grotesk. Denn in beiden Fällen bedeutet die Rückkehr in die Heimat oft den Tod…. Europa beharrt darauf, Flüchtlinge wie Ware zu behandeln, die man von Lager zu Lager schiebt. Das hilft weder den Migranten noch den Länder, die sie aufnehmen … Auch in dieser Hinsicht wären legale Einreisemöglichkeiten die humane und logische Wahl.”
Was an den Grenzen Europas geschieht, das zeichnet Europa, verweigerte Gastfreundschaft ist auch verweigertes Zusammenleben.
“Lassen Sie Lampedusa nicht allein. Ändern wir das Dublin-Verfahren nicht, sterben nicht nur die Menschen im Meer, sondern auch die Idee Europa”, so ihre eindringliche Mahnung an uns alle.
Giusi Nicolini ist für ihr humanitäres und ihr politisches Engagement vielfach ausgezeichnet worden.
Bei aller internationaler Aufmerksamkeit ist sie immer auch eines geblieben: Eine engagierte Bürgermeisterin, die sich für die Belange der Insel und der Lampedusani einsetzt.

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Gala della pace di ‚Die AnStifter‘ 2015
Stoccarda, 6 Dicembre 2015

Laudatio per Giusi Nicolini della Prof.ssa Dott.ssa Heidrun Friese
Docente della ‚Technische Universität‘ di Chemniz

Lampedusa isola di accoglienza, Lampedusa, isola di frontiera.

Nelle civiltà senza navi, i sogni si inaridiscono, svaniscono… (Michael Foucault, “Eterotopia”)

Ma alle frontiere d’Europa si soffoca. A queste frontiere si annega, ci si congela, ci si brucia la pelle, alle frontiere d’Europa il cuore cessa di battere. Alle frontiere d’Europa esseri umani vengono respinti, trattenuti, imprigionati…. i sogni svaniscono.

Lampedusa, minuscola isola davanti alle coste dell’Africa del Nord, periferia europea e, in passato, luogo di incontri e scambi fra le regioni e le religioni del Mediterraneo, è diventata ora una di quelle zone di confine in cui si selezionano esseri umani e solamente il caso, il loro luogo di nascita e la nazionalità, decide come sarà il loro futuro.

„Lampedusa è divenuta ora uno dei simboli dell‘ errata politica europea per l‘ asilo e l’immigrazione.

Lampedusa adesso è un luogo di globale reportage, di promozione mediatica alla grande e di ‚attenzione‘ come forza economica e così, nella nostra immaginazione, Lampedusa rappresenta da una parte la paura di masse nere, di invasioni, di incontrollabilità, di perdita della presunta identità nazionale, dall’altra partecipazione, compassione, vulnerabilità, aiuto, solidarietà spontanea.
L’isola riunisce non solo famose icone mediatiche impegnate nell‘ umanitario, come l’attrice Angelina Jolie, ambasciatrice dell‘ UNHCR, ma anche politici discutibili come Marie Le Pen del Front National francese; qui è venuto Silvio Berlusconi come pure Papa Francesco.

Lampedusa mobilita l’opinione pubblica politica e rende evidenti i limiti europei; Lampedusa però è anche un luogo di indubbia, incondizionata ospitalità. La sua comunità ha una grande tradizione di accoglienza data a profughi e naufraghi. C’è anche una lunga cronologia di drammatiche azioni di salvataggio sul mare da parte dei pescatori lampedusani; la loro etica non pone domande su provenienza, nome o nazionalità delle vittime ma le accoglie sull’isola senza esitazioni.“
(dallo scritto della Prof.Friese del 2014: „Die Grenzen der Gastfreundschaft. Die Bootsflüchtlinge von Lampedusa und die europäische Frage“. Bielefeld)

La legge dell’ospitalità e quella del mare sono leggi più antiche di ogni possibile convenzione.
„Siamo gente di mare“, così si dice sull’isola. In un’intervista del 2015 con un giornale tedesco di Lüneburg Giusi Nicolini afferma che quello che Lampedusa può insegnare è proprio la cosa più semplice del mondo: che un essere umano in difficoltà è un fratello, non contano la sua razza o religione. Per aiutare o per chiedere aiuto non è necessario parlare la stessa lingua. A Lampedusa si offre aiuto senza chiedere „Da dove vieni?“ o “ Di che religione sei?“ Si chiede semplicemente: „Cosa ti è successo“?
(„Landeszeitung Lüneburg“ del 3.12.2015, articolo „Lampedusa può insegnare qualcosa“ Giusi Nicolini intervistata da Fanny Pigliapoco).

Nell’anno 2011, l’anno della rivoluzione tunisina, l’isola, che conta poco meno di 6.000 abitanti, ha accolto più di 100.000 persone. “Lampedusa non ha paura degli sbarchi […] Per noi non si tratta di numeri, ma di persone. Li vediamo quando arrivano, entriamo in contatto con loro, con le loro speranze e le loro paure” afferma il sindaco. (Lampedusa, la sindaco gentile che accoglie l’umanità – Il Fatto Quotidiano, http://www.ilfattoquotidiano.it/2012/09/10/lampedusa-sindaco-gentile-che-accoglie-lumanita/348142/)

Nel 2012 Giusi Nicolini è stata eletta sindaco. È sempre stata una personalità combattiva con uno spirito critico e battagliero. Era nella FGCI negli anni 1970/80; poi come vicesindaco e militante di Lega Ambiente si è sempre opposta a clientelismo, corruzione, vendita di terreni comunali, pur avendo contro interessi e forti resistenze locali in quanto anche lì, come altrove, „si cementa“ volentieri il futuro. „La riserva“, una zona protetta, è merito suo e recentemente Tripadvisor ha definito ‚l’isola dei conigli‘ ,non a caso, una delle più belle spiagge del Mediterraneo. Questo non è solo un trionfo politico ma crea anche i presupposti per entrate economiche degli isolani nel settore turistico.
Per Giusi Nicolini il turismo (visto come mobilità desiderata, auspicabile) e l’altra mobilità, quella non esattamente gradita, non sono contrapposti, non c’è antagonismo fra aiuto umanitario e cambiamenti politici. Appena eletta, ‚il sindaco gentile che accoglie l’umanità‘, il sindaco ‚umano‘ che dà il benvenuto all’umanità, ha indirizzato un urgente appello alla Comunità Europea.
‚Sono indignata dall’assuefazione che sembra avere contagiato tutti, sono scandalizzata dal silenzio dell’Europa che ha appena ricevuto il Nobel della Pace e che tace di fronte ad una strage che ha i numeri di una vera e propria guerra.
Sono sempre più convinta che la politica europea sull’immigrazione consideri questo tributo di vite umane un modo per calmierare i flussi, se non un deterrente. Ma se per queste persone il viaggio sui barconi è tuttora l’unica possibilità di sperare, io credo che la loro morte in mare debba essere perl’Europa motivo di vergogna e disonore. (da“L’appello di Giusi Nicolini, https://ildisobbedienteweb.wordpress.com/2012/11/11/lappello-di-giusi-nicolini-sindaco-di-lampedusa)
Da allora la sua è una di quelle voci che instancabilmente condannano apertamente il „regime di confine“ europeo, esortando con forza i politici dell’Unione Europea a cambiare ottica, proprio quei politici che dopo ogni tragedia accorrono a Lampedusa a radunarsi davanti alle bare degli annegati,
Nell’intervista al giornale di Lüneburg del 3.12.2015 Giusi Nicolini sostiene inoltre che l’accordo di Dublino è da cestinare. Questo a Lampedusa lo si sapeva fin dall’inizio, perché non esiste una ripartizione indolore dei migranti. Al centro di accoglienza di Lampedusa i profughi hanno raccontato storie terribili, ma l’appello dell’isola purtroppo è rimasto inascoltato fino al momento in cui gli Stati dell’Europa del Nord hanno visto i migranti arrivare alle loro porte. Come se fino allora il problema riguardasse solo la remota Lampedusa e la richiesta d‘ aiuto servisse solo a dare sfogo a una situazione di disagio! Improvvisamente l’Europa si rende conto di aver ignorato per anni il problema, ma la sua risposta è deludente.
Dopo più tre anni dal suo appello all’Unione Europea Giusi Nicolini invia quest’anno un altro messaggio alle coscienze europee e richiede fermamente un nuovo diritto d’asilo e una nuova politica sull’immigrazione. Sempre nella già citata intervista del 3.12.2015 sostiene che continuiamo a distinguere profughi di prima e seconda classe, che è assurdo che chi deve abbandonare la propria patria venga accettato solo se fugge da una guerra e invece venga respinto se scappa da una guerra civile, dal terrorismo o se costretto dalla fame. È grottesco fare una distinzione fra profughi e migranti „economici“, in quanto in ambedue i casi un rientro in patria significa spesso la morte (…) L’Europa si ostina a trattare profughi come merce da spostare da un deposito all’altro. Questo non aiuta nè i profughi, nè i Paesi di accoglienza.(…) Anche in questo senso la possibilità di accesso legale in un Paese non sarebbe altro che un’offerta umana e logica.
Quello che accade alle frontiere europee contrassegna l’Europa: rifiutare di dare ospitalità significa anche negare convivenza.
„Non lasciate sola Lampedusa. Se non cambiamo l’accordo di Dublino, non solo muoiono esseri umani in mare, ma muore anche l’idea d’Europa.“ Questo è il suo accorato ammonimento a noi tutti.

Giusi Nicolini ha ricevuto molti riconoscimenti per il suo impegno umanitario e anche per quello politico, ma nonostante la sua notorietà a livello internazionale è rimasta sempre un sindaco impegnato, che si dà da fare assiduamente per il bene della sua isola e dei suoi Lampedusani.