Im Jahr 2011 erhielt Fatuma Abdulkadir Adan aus Kenia für ihr Projekt, mit Frauenfußball den Teufelskreis der Gewalt Kenias Norden zu durchbrechen, den Stuttgarter Friedenspreis.
Laudatio auf Fatuma Abdulkadir Adan
Von Susanne Babila (SWR)
Liebe Festgemeinde, zunächst möchte ich DANKE sagen, den AnStiftern und AnStifterinnen. Denn für Fatuma Abdulkadir Adan die Laudatio zu halten, ist für mich ein besonderes Geschenk. Denn so hatte ich die große Freude, Fatuma vor nur vier Tagen persönlich kennenzulernen, nachdem ich viel über sie, ihren Mut und ihre Friedensarbeit gelesen hatte. Über eine Frau, die so couragiert, ja unerschrocken ist, dass sie sich nicht einmal von Morddrohungen beeindrucken lässt und ihren Weg beharrlich weitergeht. Frieden zu stiften, in einer unwirtlichen und kriegerischen Region – das hat sich Fatuma Abdulkadir zur Aufgabe gemacht. Das sei ihre Leidenschaft. Als Anwältin könnte sie längst in einem klimatisierten Büro in Nairobi Geld verdienen. Sie wählt aber den staubigen, heißen, trockenen Norden Kenias als Arbeitsplatz. Ihre Heimat. Das Land ihrer Familie, ihrer Ahnen. An der Grenze zu Somalia und Äthiopien. In der Provinzhauptstadt Marsabit leben rund 30 Tausend Menschen. In der gesamten Region 10 mal so viel. Die meisten gläubige Muslime. Die Kindersterblich-keit ist hoch, Medikamente gibt es kaum. Es mangelt an vielem, vor allem an Wasser und Nahrung. Dürreperioden können bis zu drei Jahren andauern. Dann wächst kein Gras mehr, kein Busch, kein Baum. Die Steppen verwüsten. Die Ernten bleiben aus.
Es ist heiß, so heiß, dass in der sengenden Hitze die Luft vor den Augen zu flirren beginnt.
Die Tiere brüllen, weil sie kein Wasser mehr haben. Vor den Tränken bilden sich lange Schlangen. Und meist hier beginnt der Streit, der Kampf um Wasser, um Weideland. Denn die Zahl der Rinder misst den Reichtum der Familie. Sterben die Tiere, verliert die Familie nicht nur Geld, sondern auch Ansehen. Dann wird Krieg geführt gegen die, die schuld sein sollen an dem Verlust. Die Feinde, die Anderen. Die Gabra, die Borana oder die Rendile.
So heißen die großen Nomaden-Stämme in der Region. Und so werden aus wirtschaftlichen Konflikten auch politische Kriege. Dafür werden junge Männer in den Krieg geschickt. Wer die meisten Gegner tötet, kommt zurück als gefeierter Held.
Kaum einer aus Kenias Hauptstadt Nairobi verirrt sich in den gefährlichen Norden. Aber die zierliche, junge Fatuma wählt diesen Ort, ihre Heimat, weil sie eine Vision hat: Frieden.
Und genau deshalb ist Susanne Stiefel, die Redakteurin der Wochenzeitschrift Kontext, auf sie aufmerksam geworden. Im Auftrag von Peace Counts. Einem Projekt, das es sich zur Aufgabe gemacht hat, den Friedensmachern in den Konfliktregionen dieser Welt eine Stimme zu geben. Susanne Stiefel hat die 33-jährige begleitet – bei ihrer Arbeit, bei Gesprächen mit Dorfältesten, bei der Organisation von Fußballspielen und bei ihrer Überzeugungsarbeit, dass Bildung auch für Mädchen wichtig ist. Im Norden Kenias hat sich Susanne Stiefel davon überzeugt, dass diese junge Frau eine Herkulesarbeit für den Frieden leistet.
Und das mit Erfolg – Sie bringt verfeindete Stammesführer an einen Tisch, versammelt die Angehörigen der Opfer und trauert mit ihnen gemeinsam um die Toten. „Wie soll ich zu euch sprechen, sagt sie: Als Gabra, als Borana oder als Mensch?“ Fatuma verkörpert die Hoffnung auf ein besseres Leben in Frieden für die Menschen in Marsabit, in einer Region, in der Frauen nichts, aber auch gar nichts zu sagen haben, erreicht Fatuma das Unmögliche: Für manchen Imam ist die junge Frau eine leibhaftige Provokation. Sie wird beim Freitagsgebet verdammt, erhält Morddrohungen. Doch Fatuma lässt sich nicht beirren. In einer archaisch geprägten Männergesellschaft. In der Frauen keine Rechte, keine Stimme haben. Vier von fünf Frauen haben nie eine Highschool von innen gesehen. Warum auch, sagen sich die Väter: Sie werden verheiratet, da sind die Mädchen gerade mal 12, 13, 14, 15 Jahre alt. Mit dem, der am meisten Rinder bietet, auch wenn der Freier ein alter Mann ist. Und: Jedes Mädchen wird Opfer einer brutalen Tradition: der Genitalverstümmelung.
Im Norden Kenias trauriger Alltag. Durchgeführt von Frauen, die selbst verstümmelt wurden. Verschwiegen werden die Höllenschmerzen vor allem beim ersten Geschlechtsverkehr oder bei der Geburt. Verschwiegen werden die Todesopfer, wenn Mädchen nach dem Eingriff verbluten. Lieber sterben, als unbeschnitten in die Ehe gehen, denken die Mütter. Und weinen, wenn ihre Töchter zu Grabe getragen werden.
Auch dieses Schweigen will Fatuma brechen. BREAKING THE SILENCE ! Darum geht es.
Und darüber spricht sie mit den Frauen und Mädchen, die zu ihr kommen. Horn von Afrika Initiative – kurz Hodi, heißt ihre Hilfsorganisation. Fatuma hat sie über viele Jahre aufgebaut. Sie ist die einzige Frau in der ganzen Region, die das geschafft hat. Zunächst ganz allein, dann mit mehreren Mitarbeitern. Jetzt wird sie unterstützt, auch von der Schwester des amerikanischen Präsidenten, von Auma Obama, die für Care – einer internationalen Hilfsorganisation – in Nairobi arbeitet. Denn Obama ist überzeugt vom Konzept der jungen Anwältin. Fatuma und ihr Team bei Hodi gibt Rechtshilfe, zeigt alternative landwirtschaftliche Methoden und will Mädchen neue Perspektiven weisen. Sie setzt auf Bildung, vor allem für Mädchen. Daran arbeitet sie: Mit Charisma, Diplomatie und einem unwiderstehlichen Lachen. Vor allem dann, wenn sie von Fußballspielern wie Michael Ballack schwärmt.
Und was sie so außergewöhnlich macht: Fatuma ist Fußballtrainerin im Dienste des Friedens in einem Land, in dem Frauen bodenlange Gewänder tragen und ihren Kopf mit einem Kopftuch bedecken. Kein Problem, sagt sie, und findet für alles eine Lösung.
Zwei Frauenmannschaften und 138 Männermannschaften hat sie gegründet. Für die einen ein Stück Freiheit, für die anderen ein Mittel zur Friedenserziehung. Der Trick: Spieler aus verfeindeten Stämmen bilden eine Mannschaft, ein Team. Das gemeinsame Ziel: die meisten Tore zu schießen und zu gewinnen. Belohnt wird Fairplay und ein friedvoller Umgang auf dem Spielfeld. Die Fußbälle basteln sie selbst aus Plastikmüll und Schnüren.
Ehemalige Kriegsschauplätze werden zu Fußballfeldern.
„Shoot to score, not to kill“ – „Schießen, um Tore zu erzielen, nicht um zu töten“ – so lautet die Fußball-Friedens-Botschaft. Es ist so einfach, wie genial. Und es funktioniert.
Denn Fußball vereint, gibt Anerkennung und gilt – gerade auch in Afrika – als Sprungbrett in eine bessere Welt. Man muss nur gut genug sein und an sich glauben. Das lernen auch die Mädchen beim Fußball. Und vor allem: Dribbeln, Stürmen, Gewinnen macht Spaß.
Selbstbewusstsein und Lebensfreude, das fehlt vielen Frauen, sagt Fatuma. Wir werden unterdrückt, wir Frauen in Afrika. Aber wir sorgen für das Überleben der Familie, wir kümmern uns um die Erziehung der Kinder, wir tragen das Wasser und bestellen die Felder. Tagaus –tagein. Wir sind der Motor der Gesellschaft. Das sollte uns mit Stolz erfüllen.
Fatuma steht für viele Frauen in Afrika, die sich für Frieden und Menschenrechte einsetzen und dafür ihre Leben riskieren. Sie tun das für ihre Kinder, für ihre Enkel, für eine bessere Zukunft. Diese mutigen Frauen zu würdigen, – dafür steht der diesjährige Stuttgarter Friedenspreis. Dafür steht Fatuma Abdulkadir Adan. Eine, die nicht auf Hilfe wartet, sondern sich selbst hilft. Susanne Stiefel hat die Anwältin und Friedensaktivistin im Jahr der Fußball-Frauenweltmeisterschaft vorgeschlagen. Dafür danke ich ihr und vor allem auch den Anstiftern, die ihrem Vorschlag gefolgt sind.
Denn diese Wahl ist ein Zeichen in die Welt – so wie die Entscheidung des diesjährigen Nobelpreis-Komitees, den Friedensnobelpreis an zwei Afrikanerinnen zu geben Ein Zeichen in die Welt – ganz im Sinne der indischen Menschenrechtlerin Arundhati Roy: „Another world is not only possible, she is on her way! On a quiet day, if you listen carefully, You can hear her breathing.“ Die Zukunft ist weiblich! Nicht nur in Afrika. Fatuma . Wir danken dir.