2012 wurde die Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel! für ihr Engagement gegen Rüstungsexporte ausgezeichnet.
Laudatio auf „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel“
Von Thomas Gebauer
Wir ehren heute eine Gruppe von Menschen, die sich auf allerdings herausragende und eindrucksvolle Weise für den Frieden engagiert haben. Wir ehren die „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“. Von ganzem Herzen freue ich mich darüber, dass Ihr mit dem Stuttgarter Friedenspreis ausgezeichnet werdet.
Im Falle der „Aktion Aufschrei“ von einer Gruppe von Menschen zu sprechen, ist fast schon eine Untertreibung. Seit über drei Jahrzehnten verfolge ich das friedenspolitische Engagement in Deutschland und zu keiner Zeit habe ich einen so großen Zusammenschluss erlebt, der sich gegen den Waffenhandel stark gemacht hat.
Auf bemerkenswerte Weise vereint die „Aktion Aufschrei“ zivilgesellschaftliche Akteure aus ganz verschiedenen Bereichen der Öffentlichkeit: Organisationen aus der Friedensbewegung, entwicklungspolitische Gruppen, globalisierungskritischen Initiativen, kirchlichen und weltlichen Akteuren, Umweltund Ärzteorganisationen, Kinderrechtsorganisationen, etc. etc., – Akteure, die vieles verbindet, die aber in der Vergangenheit nicht immer mit einer Stimme gesprochen haben.
Die Liste der Träger und Unterstützer liest sich fast schon wie ein „Who is Who“ der deutschen Zivilgesellschaft, zumindest ihres kritischen Teils. Man braucht ein wenig Zeit, um sich durch die Namen von mehr als 100 Gruppen durchzuarbeiten, die mit Nachdruck auf ein grundsätzliches Verbot von Rüstungsexporten drängen.
Dabei ist die Forderung nach einem Stopp von Waffenexporten nicht eigentlich neu; einzelne Organisationen und kleinere Bündnisse verlangen das schon seit vielen Jahren. Neu und überfällig ist, dass die Kritik am Waffenhandel nun von einer so breit getragenen Kampagne geführt wird – und allein deshalb schon sind wir den Initiatoren des „Aufschreis“ zu Dank verpflichtet.
Liebe Christine, lieber Jürgen, lieber Paul, dass Ihr es geschafft habt, innerhalb von nicht einmal zwei Jahren ein solches Bündnis auf die Beine zu stellen, ist große Klasse – Hut ab!
Gemeinsames Handeln in Zeiten, in denen das eigene Profil, die eigene Marke, das „Logo“ so hoch im Kurs stehen, ist leider nicht mehr selbstverständlich und umso mehr zu begrüßen. Wenn sich so viele und so unterschiedliche Akteure auf wenige und klar definierte Ziele verständigen, – schafft das Glaubwürdigkeit. Und nur wer in der Öffentlichkeit Glaubwürdigkeit genießt, kann schließlich auch die Kraft entfalten, die Veränderung möglich macht.
Es ist das große Verdienst der „Aktion Aufschrei“, die von vielen empfundene Empörung über den Waffenhandel in etwas verwandelt zu haben, das eigentlich schon gar nicht mehr nur als „Druck aus der Zivilgesellschaft“ bezeichnet werden kann, sondern bereits alle Voraussetzungen hat, zu einer wirkungsvollen „Gegenmacht“ zu werden.
Bald 80 % der deutschen Bevölkerung sind heute gegen Waffenexporte. Ganz offenbar hat sich die Einsicht breit gemacht, dass Waffenexporte weder ein Kavaliersdelikt sind, noch einfach nur ein Business, sondern aktive Beihilfe zu Tod und Zerstörung. Jede Minute wird heute ein Mensch durch eine Gewehrkugel, eine Handgranate oder eine Landmine getötet. Hunderttausende im Jahr, die nicht einfach nur ihr Leben verlieren, sondern denen das Leben genommen wird.
Gegenmacht ist notwendig, weil die Verhältnisse, die für den Tod so vieler Menschen verantwortlich sind, nicht einfach vom Himmel gefallen sind. Sie sind das Resultat mächtiger Interessen, Interessen, die sich auch in den Argumenten spiegeln, die immer wieder vorgetragen werden, um Waffenexporte zu rechtfertigen. Sie kennen diese Rechtfertigungen: Waffen seien Instrumente der Friedensicherung, Waffenexporte sichern Arbeitsplätze; wenn wir nicht liefern, tun‘s die anderen, etc. etc. Argumente, die meist im Gestus eines pragmatischen Realismus vorgetragen werden und jede Kritik ins Reich von Utopie und Illusion verbannen.
Es ist das Elend dieses Rechtfertigungsdiskurses, das sich die „Aktion Aufschrei“ vorgenommen hat. Mit vielfältigen öffentlichen Aktionen, mit bewundernswerter Kreativität und Beharrlichkeit drängt sie auf Klarstellung und die Einsicht, dass Waffen eben nicht x-beliebige Güter sind, sondern wesentliche Voraussetzung für die Fortdauer der mörderischen Gewaltverhältnisse, denen immer mehr Menschen ausgeliefert sind. Und selbst dort noch, wo sie nicht zum Einsatz kommen, binden Waffen Mittel, die eigentlich für soziale Entwicklung, für Gesundheit, Bildung etc. benötigt würden.
Gewiss ist die extreme Krise, die den Menschen in Griechenland heute aufgenötigt wird, nicht alleine durch den Waffenhandel begründet. Doch hat das ruinöse Wettrüsten, das Griechenland in den letzten Jahren zum Wohle nicht zuletzt deutscher Rüstungskonzerne betrieben hat, einigen Anteil daran. So absurd es klingt: Das am höchsten verschuldete Land Europas hat – gemessen am Bruttoinlandsprodukt – die höchsten Militärausgaben. Und während die Gläubiger von der griechischen Regierung ständig weitere Einschnitte in der Sozialpolitik verlangen, verweisen sie im Falle der Rüstungsausgaben auf die Souveränität Griechenlands.
Solange die prekären Folgen von Waffenexporten nicht sichtbar werden, solange die Opfer keine Stimme haben, bleibt die Sache abstrakt: etwas, das in der Ferne passiert, aber uns nicht zu tangierten scheint. Wir, das sind die Öffentlichkeit, die Politik und letztlich auch die Manager der Waffenschmieden, die ja in der Regel nicht mordgeile Psychopathen sind, sondern sich vom kalten Kalkül betriebswirtschaftlicher Überlegungen leiten lassen, die Renditeerwartungen der Anteilseigner zu bedienen haben, von Wachstumsgläubigkeit besessen sind und sich in ihren abgeschotteten Männerbünden – ja es sind vorrangig Männer – für unwiderstehliche Macher halten. Dass sie, um all das zu erreichen, wie Goethes „Faust“ ihre Seele verkaufen mussten, wird ihnen gar nicht mehr bewusst.
Zu welch grotesken Entwicklungen das Ausblenden der Folgen von Waffenexporten führen kann, ist mitunter im Gespräch mit den Produzenten zu erfahren. Dann, wenn sie stolz auf steigende Umsätze verweisen und im gleichen Atemzug erzählen, wie die eigenen Kinder im Geiste eines friedliebenden Zusammenlebens aufwachsen und im Kinderzimmer selbstverständlich statt Spielzeugwaffen nur pädagogisch wertvolles Holzspielzeug liegt.

Es gehört zu den Stärken der „Aktion Aufschrei“, dass sie solche Ignoranz mit der Wirklichkeit konfrontiert, ihr sozusagen die Opferperspektive entgegenhält und auf diese Weise deutlich macht, dass Waffenexporte eben keine lässliche Bagatelle sind. Nein, wenn wir von Waffenexporten sprechen, dann sprechen wir nicht von einem lukrativen Geschäftsmodell, nicht von Frieden, sondern von Beihilfe zu Verbrechen und Krieg.
Mit vielfältigen Aktionen, die von großem Einfallsreichtum und Entschlossenheit ze ugen, hat die „Aktion Aufschrei“ den Skandal deutscher Waffenexporte zu einem öffentlichen Thema gemacht. In den knapp zwei Jahren, die die Kampagne nun im Gange ist, gab es kaum einen Tag, an dem nicht irgendwo in der Republik ein Vortrag geha lten wurde. Mein alter Freund Emanuel, der aus eigener Erfahrung weiß, was Waffe anrichten können, hat alleine, ich weiß nicht wie viele Veranstaltungen gemacht.
Öffentlich aufgetreten sind aber auch Leute, die zuvor nie öffentlich gesprochen haben. Die Kampagne ist eben kein Netzwerk von zivilgesellschaftlichen Profis, sondern ein Aktionsfeld, das zum Mitmachen motiviert, das auch denen, die sonst eher zurückhaltend sind, den Rahmen bietet, aktiv zu werden und mutig die eigene Empörung zum Ausdruck zu bringen. Das genau ist die mitreißende Kraft einer guten Kampagne.
All die Aktivitäten aufzuzählen, die die Aktion unternommen hat, würde den Rahmen, der mir zur Verfügung steht, sprengen.
Einige herausragende aber muss ich nennen:
- die Ballonaktion „Bomben aus Berlin“ etwa, mit der die Kampagne im Februar diesen Jahres vor dem Reichstag demonstrierte und ein enormes Medienecho erfuhr,
- die Herstellung von regionalen Rüstungsatlanten, um den Menschen, die im Umfeld von Rüstungsbetrieben leben, überhaupt erst einmal eine Idee von dem zu geben, was da in ihrer Umgebung hinter gesicherten Fabrikmauern so vor sich geht,
- die „Legt den Leo an die Kette“ Kampagne, die den geplanten Panzerdeal mit Saudi-Arabien nutzte, um Waffenexporte exemplarisch zu skandalisieren,
- das Video „Made in Absurdistan“ des Jugendtheaters Stage Divers(e), das sich das verborgene Wirken des Bundessicherheitsrates vornimmt,
- Friedensfahrradtouren, Mahnwachen, Podiumsdiskussion, Rundreisen mit Zeugen,
- und immer wieder Aktionen im schwäbischen Oberndorf, dort wo Heckler & Koch seinen Sitz hat.
Eine Million Menschen, so wird geschätzt, sind seit Ende des zweiten Weltkrieges durch Waffen aus dem Hause Heckler & Koch ums Leben gekommen. Da liegt es allerdings nahe, die Werkstore zu blockieren. Und wie man das öffentlichkeitswirksam machen kann, das zeigten im September die 100 Musiker des Orchesters „Lebenslaute“, die nicht lange zögerten und ihre Pulte in den Zufahrten aufbauten, um mit Klassik gegen Kriegswaffen vorzugehen.
Eine herrliche Provokation, die ebenfalls einiges an Medienecho erfahren hat, ebenso wie der Vorschlag eines anderen Mitstreiters der „Aktion Aufschrei“, des „Zentrums für politische Schönheit“, das die Produktionsstätte von Heckler & Koch mit einem Sarkophag umschließen will: – damit von dort – wie von Tschernobyl – künftig keine Gefahr mehr ausgehen kann.

Bis es soweit ist, bis Rüstungsexporte grundsätzlich verboten sind, aber wird noch einiges zu tun sein. Immerhin: Dass sich die Bundesregierung aufgrund des öffentlichen Drucks heute in der Defensive befindet und am liebsten gar nicht mehr öffentlich über Waffenexporte redet, dass Waffenexporte ein „Non-Thema“ geworden sind, mit dem sich keine Mehrheiten mehr finden lassen, ist ein wichtiger Schritt vorwärts.
Aber auch die andere Seite, die Rüstungslobby, lässt nicht locker. Sie kennen die Zahlen. Der gerade veröffentliche Rüstungsexportbericht der Bundesregierung hat sie nochmals bestätigt: nach den USA und Russland ist Deutschland der drittgrößte Rüstungsexporteur der Welt. Weil der Verteidigungsetat im Bundeshaushalt schrumpft und die Bundeswehr verkleinert wird, lassen sich Geschäfte mit Waffen heute verstärkt nur noch im Export machen. Entsprechend hat auch der Druck der Industrie auf die Politik in Berlin zugenommen.
Dass wir dem Druck der Rüstungslobby heute im politischen Berlin etwas entgegengehalten können, verdanken wir der „Aktion Aufschrei“.
Vielleicht ist es nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zu einem grundsätzlichen Verbot von Waffenexporten, wenn der Komplex des Waffenhandels aus der Geheimhaltung herausgezerrt und zu einer Angelegenheit des Parlaments gemacht werden kann, es wäre dennoch ein wichtiger.
Wer in der deutschen Öffentlichkeit weiß denn schon, dass über Rüstungsexporte in einem geheim tagenden Gremium, dem Bundessicherratsrat entschieden wird? Darüber liest man nicht viel in den Zeitungen. Und selbst Abgeordneten, die es besser wissen müssten, entgeht so manches.
Mit „face to face“ Gesprächen will die Kampagne deshalb während des kommenden Bundestagswahlkampfes die Kandidaten in ihren Wahlkreisen stellen, ihnen sozusagen Beine machen, und tatsächlich scheint da reichlich Musik drin zu sein.
Gerade erst haben die Oppositionsparteien ihre Positionen abgesteckt. SPD und Grüne verlangen mehr parlamentarische Beteiligung sowie eine Verschärfung der Exportrichtlinien, die Linke folgt der Idee eines grundsätzlichen Verbots von Rüstungsexporten. Wenn über die Geschäfte mit dem Tod nicht nur im fernen Berlin, sondern auch zuhause in den Wahlkreisen diskutiert wird, verspricht das spannend zu werden.
Mit all ihren Aktivitäten zeigt sich die „Aktion Aufschrei“ als Teil einer viel größeren Bewegung, einer Bewegung, die es nicht länger hinnehmen will, dass sich hinter verschlossenen Türen die Interessen der wirtschaftlichen und staatlichen Macht gegen das Gemeinwohl durchsetzen, – einer Bewegung, die auf die Revitalisierung des öffentlichen Raumes drängt und sich mit Kräften gegen die Krise der Demokratie stemmt.
Ich denke, Sie hier in Stuttgart wissen, wovon ich rede. Und so nimmt es nicht wunder, dass die Kampagne Zuspruch gerade auch von jungen Leuten erfährt.
Das, was die Kampagne bislang erreichen konnte, macht Mut. Es zeigt, dass Veränderung möglich ist, selbst wenn dazu ein langer Atem notwendig sein wird. Die „Gegenmacht“, von der ich anfangs sprach, formt sich in öffentlichen Auseinandersetzungen, und nur in öffentlichen Auseinandersetzungen wird sie weiter auszubauen sein. Vieles hat die Kampagne bereits erreicht, ihr Einsatz aber wird unvermindert notwendig bleiben.

Denn machen wir uns nichts vor: Waffenexporte sind Teil eines Systems, das als solches zum Problem für uns alle geworden ist. Solange das Geld der Geist aller Dinge ist, solange die Rechte der Menschen nichts wert sind, wenn die Rendite gefährdet ist, solange es nicht demokratisch zugeht, solange wird auch der Waffenhandel nicht zu stoppen sein.
Aber ginge es demokratisch zu und stünden die Bedürfnisse der Menschen im Vordergrund, würden auch Krankenhäuser nicht mehr privatisiert, gäbe es wieder genügend Geld für Bildung, würde die Schere zwischen Arm und Reich wieder zugehen und müssten nicht so viele Mittel eingesetzt werden, um die soziale Spaltung wehrhaft abzusichern.
An dieser Stelle greift der Vorwurf, ein Stopp von Waffenexporten sei utopisch. Ja doch, warum denn nicht. Nicht die Idee einer anderen Welt ist dumm, sondern das, was uns mitunter unter der Flagge des Realismus zugemutet wird. Ein Realismus, der einigen wenigen ein waffengeschütztes Paradies bringt, und allen anderen die Hölle.
Inzwischen ist viel Kritik an der Entscheidung des Norwegischen Nobelinstituts geübt worden, in diesem Jahr die EU mit dem Friedensnobelpreis zu ehren. Zu recht, denn honoriert wird damit genau jene Politik, von der ich eben gesprochen habe: Eine Politik, die sich mit der Schaffung einer Insel zufrieden gibt und zugleich den anderen, denen, die ausgeschlossen sind, das Leben zur Hölle macht.
Dabei ist doch längst klar, dass die heute so brutal vorangetriebene soziale Polarisierung auf Dauer nicht gut gehen kann, dass sie so oder so zurückschlagen wird und die Waffen, die bis dahin geliefert sein werden, eine nur noch von noch mehr Gewalt und noch mehr Krieg geprägte Zukunft zulassen.
Wenn wir verhindern wollen, dass am Ende dieses teuflischen Geschehens nicht wieder nur jene die Opfer sein werden, die am wenigsten von all diesem Unsinn profitiert haben, dann heißt es: auf eine ganz andere Weise realistisch zu sein, nämlich das Unmögliche zu verlangen.
Niemand der sich heute gegen Waffenexporte engagiert, hat die Idylle einer absolut konfliktfreien Welt vor Augen. Darum geht es nicht! Wohl aber um eine Welt, in der Konflikte auf andere als auf mörderische Weise ausgetragen werden können.
Lassen Sie mich schließen mit ein paar Worten des Danks und der Hoffnung. So wie die „Aktion Aufschrei“ uns allen Mut macht, so sehr hoffe ich, dass der Preis auch Euch Ermutigung ist. Ermutigung nicht locker zu lassen, vielmehr den Druck nochmals zu erhöhen und dabei viele weiter Mitstreiter zu finden.
Danken will ich auch den Preisgebern, die diese wunderbare Entscheidung getroffen haben. Und das war ja keine geheim tagende Jury, sondern viele, viele Menschen, die öffentlich abgestimmt haben: es ist die Öffentlichkeit selbst, die mit dem diesjährigen Stuttgarter Friedenspreis keinen Zweifel daran gelassen hat, wie wichtig ihr ein Stopp des Waffenhandels ist, und wie sehr sie wünscht, dass Ihr, dass die „Aktion Aufschrei“ das erreicht, was ihr Euch vorgenommen habt, ein grundsätzliches Verbot von Rüstungsexporten.
Herzlichen Dank