Kim Longinotto ist Regisseurin des Dokumentarfilmes „SALMA“: Im tamilischen Südindien, in den Dörfern der muslimischen Minderheit, werden Mädchen ab der Pubertät bis zu ihrer Hochzeit weggesperrt. Dieses Schicksal traf auch die bildungshungrige Salma, als sie 13 Jahre alt war. Der arrangierten Ehe widersetzte sie sich neun lange Jahre, in denen sie in einem kargen Zimmer eingeschlossen blieb. Aber auch nachdem sie endlich der Hochzeit mit Malik, einem lokalen Politiker, zustimmt, bleibt sie eine Gefangene im Hause ihres Mannes. Die einzige Lektüre für Salma sind die Zeitungsseiten, in die das Gemüse eingewickelt wurde. Heimlich beginnt sie, Gedichte zu schreiben, die sie mit- hilfe ihrer Mutter an einen Verleger schmuggelte. Als ihre Lyrik veröffentlicht wird, ändert sich ihr Leben radikal. Sie wird eine bekannte Dichterin und bewirbt sich um politische Ämter und inspiriert ihre Schwester und andere Frauen mit ihrem Frei- heitsstreben. In SALMA wird das Leben muslimischer Frauen nicht etwa exotisiert, sondern unaufgeregt und
mit großem Respekt erzählt. In diesem Film wird eindringlich erzählt, wie weit entfernt die Emanzipation in Indien ist und wie der Kampf von Salma zum Vorbild für andere junge Frauen werden kann. Mein Vorschlag geht an Kim Longinotto und Salma, der Protagonistin im Film. Ich habe bei der Berlinale den Film gesehen, beide Frauen waren anwesend zur anschließenden Diskussi- on. Beide Frauen waren unglaublich eindrucksvoll, besonders Salma, die in Südindien heute die bekannteste Lyrikerin ist.
Alle Beiträge von friedenspreis
16 – Lothar König, Stadtjugendpfarrer in Jena
Ich schlage für den Friedenspreis Lothar König, Stadtjugendpfarrer in Jena vor. Der 59-Jährige war Teil der kirchlichen Friedensbewegung in der DDR und engagiert sich heute gegen Neonazi-Aktivitäten vor allem in den neuen Bundesländern. 1997 griffen Neonazis den von ihm geleiteten Jugendtreff JG-Stadtmitte in Jena an und verletzten ihn schwer. Derzeit wird der Pfarrer wegen gewaltfreien Aktivitäten gegen den Neonazi-Aufmarsch in Dresden im Jahr 2011 juristisch verfolgt, die Polizei durchsuchte 2011 seine Wohnung. Anfänglich wurde ihm „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ vorgeworfen, derzeit lautet die Anklage auf „Landfriedensbruch“. Am Tag der Durchsuchungsaktion versammelten sich 600 Menschen zu einer spontanen Solidaritäts-Demonstration vor dem Jugendtreff JG-Mitte. In Reden kritisierten zahlreiche Prominente aus Politik und Zivilgesellschaft das Vorgehen der sächsischen Polizei. Vor allem das umstrittene Vorgehen der sächsischen Beamten erweckte bun- desweit bei Kommentatoren negative Reaktionen. Das antifaschistische Bündnis Nazifrei! – Dresden stellt sich quer sieht in der Razzia, – wenige Tage, nachdem König sich in einem Spiegel-Interview kritisch zu den Ermittlungen in Dresden geäußert hatte, – einen Einschüchterungsversuch. Am 4. April 2013 wurde das Verfahren vor dem Amtsgericht Dresden eröffnet. Unterstützergruppen des evangelischen Theologen, die den Prozess für politisch motiviert halten, wer- fen den Staatsanwälten vor, damit engagierte Gegner von Rechtsextremisten zu kriminalisieren. Ich denke, er wäre ein würdiger Preisträger.
17 – Margret Ullrich, Anti-Atom-Aktivistin, Dortmund
Margret Ullrich arbeitet seit 33 Jahren als Friedens- und Anti-Atom-Aktivistin. Seit 1980 organisiert die Dortmunderin verschiedene Initiativen, Demonstrationen und Veranstaltungen mit internationalen Gästen und stellt Ausstellungen zusammen. Ihr unermüdliches Eintreten für den Frieden und das Leben in einer atomenergie- und atomwaffenfreien Welt war und ist seit Jahrzehnten ungebrochen. Margret Ullrich hat dazu beigetragen, dass die Kritik an lebensgefährdenden Verhältnissen nicht verstummt. Die 79-Jährige engagiert sich für unser aller Gemeinwohl, auch um der zunehmenden Orientierung auf profitorientierte Ökonomie und egoistisches Sicherheitsdenken Paroli zu bieten. 1982 organisierten Frauen aus dem Ruhrgebiet – unter ihnen Margret Ullrich – einen Friedensmarsch von Berlin nach Wien, um gegen die Stationierung von atomaren Cruise Missiles und Pershing-II-Raketen in Deutschland zu protestieren. Ein Jahr später hat Margret Ullrich die Dortmunder Frauen-Friedensinitiative mitgegründet. Sie hat sich auch internationalen Kampagnen wie IPPNW (Internationale Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/Ärzte in sozialer Verantwortung) angeschlossen. Sie hat mitgewirkt, Menschen aus Atomtestgebieten nach Dortmund einzuladen, damit diese über ihren Widerstand berichten konnten. Heute ist der Atomausstieg in Deutschland ein großes öffentliches Thema, wozu auch Margret Ullrichs Engagement beigetragen hat.
18 – Marianne Frank-Mast (Mädchenschule Khadigram)
Marianne Frank-Mast gründete 2003 den Verein Mädchenschule Khadigram e.V., um im indischen Bundesstaat Bihar, in Khadigram, eine Internatschule für Mädchen aus den Familien der Adivasis (Stammesangehörige) und der Dalit (Unberührbare) zu bauen. Denn immer noch werden kleine Mädchen im Alter von 8 bis 12 Jahren zwangsverheiratet, obwohl dies gesetzlich verboten ist. Immer noch erreichen 15 Prozent der gesund geborenen Mädchen das 5. Lebensjahr nicht. Immer noch sind Mädchen signifikant schlechter ernährt als ihre Brüder und werden gezielt von Bildung fern gehalten. In der Mädchenschule Khadigram leben und lernen heute 90 Mädchen. Um die Akzeptanz der Mädchenschule bei den Familien zu erhöhen, wurde 2004 das erste medizinische Camp in Khadigram durchgeführt. 2005 erfolgte der Aufbau einer Zahnstation, die seither mindestens einmal pro Jahr besetzt ist und von der Bevölkerung dankbar angenommen wird. 2007 wurde der Aufbau einer weiteren Internatsschule für Mädchen im Distrikt Sabukpur in Angriff genommen. Anfang des Jahres 2010 konnten an dieser Schule die ersten 30 Schülerinnen aufgenommen werden. Marianne Frank-Mast ist unermüdlich mit Vorträgen, Ausstellungen, Veranstaltungen und auf Märkten unterwegs. Durch Spenden und Übernahme von Patenschaften können daher die laufend anfallenden Kosten von Schule, Internat und medizinischen Begleitprogrammen gedeckt werden. Mehrmals im Jahr reist sie nach Khadigram. Die Verwaltungskosten des Vereins betragen max. 4,5%, da alle Arbeiten in Deutschland ehrenamtlich durchgeführt werden.
19 – Nasser Abufarha, Canaan Fair Trade Gründer, Palästina
Der Konflikt zwischen Israel und Palästina ist eine schmerzliche Wunde, die den Frieden zwischen den Völkern verhindert. Während die Regierung in Israel die Siedlungspolitik unbeirrt fortsetzt, erwartet die Völkergemeinschaft ohnmächtig die nächste Runde gewaltsamer Auseinandersetzung: Selbstmordattentate, Raketenbeschuss auf der einen und Militärschläge auf der anderen Seite. Nasser Abufarha, geboren in Jenin studierte Anthropologie in den USA. Für seine Doktorarbeit, „Die Herstellung einer menschlichen Bombe“ ging er 18 Monate zurück nach Palästina und untersuchte die Lebens- geschichten und das soziale Umfeld von 200 Selbstmordattentätern. Abufarha hat aber nicht nur versucht, das Märtyrertum dort zu verstehen, er gründete 2003 auch die Palestine Fair Trade Association und 2004 die Canaan Fair Trade. Dadurch können benachteiligte palästinensische Bauern den Lebensunterhalt für sich und ihre Familien bestreiten. Der Ruf nach Gewalt soll sie nicht mehr erreichen. Damit ist ein Tor aufgestoßen, die Gewaltspirale dort zu durchbrechen. Und wir hier haben die Möglichkeit, mit unserem Einkauf diesen Prozess zu unterstützen und müssen nicht länger in der Rolle des passiven Zuschauers verharren.
20 – Partnerschaft Deepam eV – Dorfprojekt in Senthanadu (Südindien)
„Lass mich zu deinen zahllosen Sternen meine eigene Lampe stellen“ (Rabindranath Tagore). Vanathayaraj – 1953 in einem winzigen Dorf in Südindien – ist der indische Initiator und Koordinator eines Dorfprojekts, das den Namen Deepam trägt. 1981 besuchte Vanathayaraj Deutschland und stellte auf Einladung einer „Eine-Welt-Initiative“ sein Projekt vor. Es bildete sich ein kleiner Freundeskreis, dem es gelang, so viel Geld zu sammeln, dass ein Stück Land im sü- dindischen Dorf Senthanadu erworben werden konnte. Die ersten Aktivitäten des Projektes in den zunächst noch angemieteten Räumen waren Näh- und Schreibmaschinenkurse. 1995 konnte dann sogar ein erstes Haus auf dem eigenen Gelände errichtet werden. Heute umfasst das Zentrum Schul- und Küchengebäude, Wohnhäuser für Mitarbeitende und Gelände zur landwirtschaftlichen Nutzung. In Senthanadu arbeiten 15 Personen. Hinzu kommen mehr als 50 Leiterinnen, die in den umliegenden Dörfern Selbsthilfeprojekte mit Gesundheitscamps und PC-Kursen, Grundausbildung im Nähen, Förderunterricht, Musteraufforstung usw. aufbauen. Deepam ist ein nachhaltiges Konzept, das im Kindergarten beginnt und die Menschen auch noch im jungen Erwachsenenalter unterstützt. Der deutsche Verein arbeitet ehrenamtlich. Vorsitzende ist Traude Rebmann.
21 – Rex Osa, Flüchtling aus Nigeria
Die meisten Flüchtlinge bringen aus ihren Herkunftsländer schreckliche Erfahrungen mit. Rex Osa, der selbst aus Nigeria flüchten musste, setzt sich in seinem jahrelangen politischen Kampf für die Rechte der Flüchtlinge ein und ist mittlerweile bundesweit ein Referenzpunkt für antirassistische Arbeit. Er ist in verschiedenen Flüchtlings- und MigrantInnen-Netzwerken aktiv. Als Mitbegründer von Flüchtlings-Selbsthilfeorganisationen wie refugee4refugee (Flüchtlinge für Flüchtlinge) ist es ihm als Betroffener besonders wichtig, den politischen Kampf in den Lagern selbst voranzubringen, um dadurch grundlegende Veränderungen zu bewirken. Hier sind die unzähligen Kämpfe der Menschen zu nennen, die in Lagern leben müssen und tagtäglich mit ungenießbaren Essenspaketen, krassen Einschränkungen in der medizinischen Versorgung, der Residenzpflicht, einer katastrophalen Wohnsituation, etc. konfrontiert werden. Auch der von Flüchtlingen organisierte Marsch nach Berlin, das Protestcamp in Berlin – Oranienplatz und die Besetzung der nigerianischen Botschaft sind einige Beispiele für die von Rex mitgetragenen Aktivitäten. Des Weiteren ist es ihm besonders wichtig, eine breite Öffentlichkeit für diese menschenunwürdige Realität zu schaffen. All diese Tätigkeiten bedürfen einer gewissen Finanzierung, die Rex momentan entweder aus eigener Tasche oder aus Spenden zu tragen versucht. Seine Arbeit trägt dazu bei, Rassismus zu überwinden, Isolation zu durchbrechen und Verständnis, Toleranz und Solidarität zu fördern.
22 – Schwester Karoline Mayer, Chile
Durch den unermüdlichen Ein- satz von Schwester Karoline Mayer, Gründerin der Fundación Cristo Vive Chile, ist sie ein Vorbild für in ternationale Solidarität und Gerechtigkeit geworden. Karoline May- er kam 1968 als Steyler Missionarin nach Chile. Sie verließ den Orden und lebt in Recoleta, einem Armenviertel in Santiago. Aus den Anfän- gen ist nach und nach ein großes Sozialwerk entstanden, aus dem nach dem Ende der Pinochet-Diktatur 1990, die „Fundación Cristo Vive“ hervorging. Dazu zählen heute Kindergärten, Kinderkrippen, Tagesstätten für behinderte Menschen, Frauenwerkstätten, ein Ge- sundheitszentrum, ein Rehabilitationszentrum für Drogenabhängige, sowie Berufsausbildungszentren, in denen jährlich über 600 Jugendliche nach dem Vorbild der deutschen Berufsfachschule ausgebildet werden. Das Gesundheitszentrum der Stiftung bietet Behandlung, Krankenpflege, Gesundheitsvorsorge für Menschen aus den Armenvierteln. Die Fundación betreut inzwischen über 30 000 Menschen in ihren verschiedenen Tätigkeitsfeldern. Im Mai 1999 wurde die „Fundacion Cristo Vive Bolivia“ gegründet, wo mit einem Gesundheitsprojekt für die Bewohner unzugänglicher bolivianischer Bergdörfer, einem Alphabetisierungsprogramm für Erwachsene, einem Internat für indigene Kinder und einem Betreuungsprogramm für Untersuchungs- und Strafgefangene und deren Familien gearbeitet wird. 2003 wurde in Cusco die „Fundación Cristo Vive Peru“ gegründet. Der Schwerpunkt liegt auf einem sicheren Haus für mittellose Frauen, die unter Gewalt, Vernachlässigung oder Missbrauch leiden, sowie einer Beratung für inhaftierte Bauern, die keine angemessene Verteidigung bekommen.
10. Stuttgarter Friedenspreis 2012 für „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“
„Wir freuen uns über die Anerkennung unseres gemeinsamen Engagements gegen Rüstungsex- porte mit der Verleihung des 10. Stuttgarter Friedenspreises“, so eine Sprecherin der „Aktion Aufschrei – Stoppt den Waffenhandel!“. Schirmherrin des Bündnisses ist Margot Kässmann.
Der mit 5.000 Euro dotierte Preis wird seit 2003 durch das Stuttgarter Bürgerprojekt Die AnStifter an Personen und Projekte verliehen, die sich „in besonderer Weise für Frieden, Gerechtigkeit und eine solidarische Welt“ engagieren. Preisträger 2011 war Fatuma Abulkadir Adan aus Kenia mit der Initiative „Fußball und Emanzipation“ („Wir zielen, um Tore zu schießen, nicht um zu töten“).
Mit der diesjährigen Preisverleihung wird das breiteste zivilgesellschaftliche Bündnis gegen Rüstungsexporte in der deutschen Geschichte ausgezeichnet und das damit verbundene Enga- gement der vielen aktiven Menschen gewürdigt. Die Verleihung ist Ermutigung und Herausfor- derung zugleich, die nächsten Schritte auf dem Weg für einen Stopp des Waffenhandels zu gehen. Schirmherrin des Bündnisses ist Margot Kässmann.
Vorgeschlagen waren für den diesjährigen Friedenspreis unter anderem auch Horst Tögel von der Brenz-Band, Rachel Dror, die sich unermüdlich für eine angemessene Erinnerung an den Holocaust einsetzt, Wolfgang Sternstein für sein Engagement in der Ökologie- und Friedensbe- wegung, Stéphane Hessel, der Verfasser des Pamphlets „Empört Euch!“ sowie die Johann- Ludwig-Schneller-Schule Libanon, in der Kinder der unterschiedlichsten Religionszugehörigkeit gemeinsam lernen.